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Glaube Liebe Hoffnung

»Glaube Liebe Hoffnung«

im Mainfrankentheater Würzburg

Thesenpapier von Heike Pauline Grauf zum Methodenstreit  mit Petra Paschinger, Dramaturgin am Mainfrankentheater Würzburg

am Donnerstag, 23. März 2006, 15.00 Uhr, ver.di-Büro Würzburg

 

Anwesende: Petra Paschinger (Mainfrankentheater), Peter Baumann (ver.di Kunst/ Medien),  Pat Christ (ver.di Kunst /Medien), Walter Gerner (SELAWÜ*), Heike Pauline Grauf (SELAWÜ), Sibylle Schenk (SELAWÜ)

These 1:

 

Durch die Herangehensweise an das Thema Arbeitslosigkeit und durch den Umgang mit den Arbeitslosen im Laufe der Inszenierung von »Glaube Liebe Hoffnung« wird Solidarisierung im Keim erstickt, das Konkurrenzprinzip flächendeckend entfacht und Qualifizierung in den Keller gedumpt

 

a)  Das Casting mit Würzburger Arbeitslosen eröffnet das Gladiatorenspiel um das heißersehnte Vitamin B (Bekanntheit / Beziehungen)

b)  Die gecasteten Arbeitslosen glauben oder werden im Glauben gelassen, durch ihre »Publicity« (O-Ton Sabine Mohr im Heringlehner-Interview) – nicht etwa durch ihre Qualifikation! – doch noch einen Job zu ergattern:

Alle anderen werden dadurch zu Rivalen im Buhlen um den Ruhm – und wen kümmern schon die »Überflüssigen«? »Denn die einen stehn im Dunkeln, und die andern stehn im Licht«.

c)   Perverserweise wird den Arbeitslosen unterschwellig weisgemacht, über den Umweg ihres Hobbys oder ihrer Ersatzhandlungen – genannt »Leidenschaft«  – erst wirklichen  Wert zu erlangen oder einen Job in ihrem erlernten Beruf zu finden, wodurch dieser aber völlig entwertet und auf ein Nebengleis geschoben wird.

d)  Das Ergebnis: Da Arbeitslose auch nur oder sogar Künstler sind (manchmal auch nur Autoliebhaber oder Amokläufer), braucht man eigentlich keine Qualifizierung mehr – weder für die Künstler, noch für die Sklavenarbeiter, die es nur noch nicht geschafft haben, ihren eigentlichen Traum zu verwirklichen: Der Mob entscheidet, wer sich durchsetzt. »Miami Vice« (Sabine Mohr) hat da sicher größere Chanchen als Ödön von Horváth. (Franziska Schütz) Warum schreit die Gewerkschaft nicht bundesweit auf, wenn Theaterleute ihr eigenes Niveau durch eine medienhörige Brot und Spiele-Inszenierung im 21. Jahrhundert selbst und in eigener Regie zum Schleuderpreis  herunterdumpen?!

e)  Durch die Art der Herangehensweise an das Thema Arbeitslosigkeit sagt uns Franziska Schütz, die Regisseurin, als Quintessenz ihrer Inszenierung am Ende unmißverständlich – nicht durch die Blume, aber durch die Medien: 

Eure Qualifizierung könnt ihr Euch ans Bein schmieren – nur wer Vitamin B hat, bekommt einen Job.

 

Ein trauriges Lehrstück: Sabine Mohr – im Heringlehner-Bericht und in der zufälligen Begegnung live vor der Neuen Chance

Das Neue Chance-Opfer und die Schreiberin aus Not Sabine Mohr wird zur Literatin hochstilisiert, wobei im Heringlehner-Bericht (in der Main-Post vom 17.02.06) mit unfreiwilliger Peinlichkeit durchscheint, was für eine Art Literatur das nur sein kann, die geschrieben wird, um Teenagerträume wiederzubeleben und die Schreibmaschinenanschläge auf Akkord zu halten. Der Skandal – ihr Verweilen in der Neuen Chance – bleibt völlig unthematisiert, sogar von ihr selbst.

 

These 2:

 

Die Arbeitslosen werden  in 2 Lager gespalten:

 

a)  die Erwählten (Gecasteten) »Guten« und scheinbar Integrierten: sie werden für ihre entfremdete künstlerische Leistung im Zuge der Zusammenarbeit wenigstens geringfügig entlohnt

b)  die Politischen »Bösen« werden ausgegrenzt, zensiert und totgeschwiegen

Sie werden für ihre künstlerische Eigenleistung weder finanziell noch ideell noch namentlich berücksichtigt:

 

a)    Keine Einladung zur Pressekonferenz

b)    Keine Erwähnung des Aktionstheaters in der Rede des Intendanten

c)     Keine Erwähnung des Aktionstheaters in der Dramaturgischen Broschüre von Glaube Liebe Hoffnung

d)    Keine Informationsweitergabe von Standbetrieb + Aktionstheater an Mainfrankentheater-SchauspielerInnen und arbeitslose KleindarstellerInnen

 

Es besteht ein eklatantes Mißverhältnis zwischen der inhaltlichen und der publizistischen Integration:

Die guten Arbeitslosen sind nicht in das Stück, aber publizistisch voll integriert.

Die bösen Arbeitslosen sind in die proklamierte PROBLEMATIK des Stückes integriert, aber publizistisch völlig draußen.

 

 

These 3:

 

Theater, das kritisiert, muß glaubhaft sein und einen ethischen Anspruch haben, der auch erfüllt werden will. Theorie und Praxis – Theater und Leben – driften in der Inszenierung »Glaube Liebe Hoffnung« gefährlich auseinander. Wer etwas ändern will, muß bei sich selbst anfangen. Solidarisierung statt Zementierung des Konkurrenzprinzips!

 

a)  Die Casting-Auswahlkriterien sind schwer nachvollziehbar, erfüllen aber nebenbei den Tatbestand der Konkurrenzausräumung

 

1. Frage: Warum bekommen arbeitslose Schreiner, Bäcker, Pädagogen, Verwaltungsangestellte oder Sekretärinnen den künstlerisch-intellektuellen Mehrwert Tänzer, Sängerin, Wissenschaftler (Astronom), Literatin übergestülpt? Ist Schreiner, Bäcker, Sekretärin, etc. als minderwertige Berufstätigkeit einzustufen? Wenn jemand eigentlich Astronom oder Schriftstellerin hätte werden wollen, soll er nicht öffentlich rumlamentieren und für andere, die wirklich Sekretärin oder Bäcker sein wollen, ganz schnell das Feld räumen.

2. Frage: Wie fügen sich in diese Reihung musischer Künste Autoliebhaberei und Schießsport ein? Eine repräsentative Verteilung kann es nicht sein, denn es gibt sehr viel mehr Sport- und Autoliebhaber als Kunstliebhaber.

 

3. Frage: Warum taucht gerade in einer Inszenierung am Theater nicht auch die Leidenschaft der darstellenden Kunst auf? Sprich: Warum gibt es unter den Kleindarstellern keinen arbeitslosen Schauspieler, arbeitslosen Regisseur oder arbeitslosen Dramaturgen? Das wäre doch sehr nahe gelegen. Oder hätten es einfach nur Hobby-Schauspieler, Hobby-Regisseure und Hobby-Dramaturgen sein müssen?

 

Was eine politische und politisch korrekte Tat gewesen wäre

 

Wenn Franziska Schütz nicht vom (unbewußten?) Gedanken der Konkurrenzbeseitigung geleitet gewesen wäre, hätte sie ihr Stück komplett und solidarisch mit arbeitslosen Schauspieler-, Regie- und überhaupt Theaterkollegen besetzt. Kollegen kann man allerdings nicht mit Kleindarsteller-Rollen abspeisen – das wäre wirklich demütigend und entwürdigend. Da hätte eine wirkliche Zusammenarbeit stattfinden müssen, sprich: es hätte bsw. eine arbeitslose Ko-RegisseurIn, einen arbeitslosen Ko-Dramaturgen und Hauptrollen für arbeitslose SchauspielerInnen geben müssen. (Viele Rollen im Stück sind übrigens doppelt besetzt!)

 

Daß arbeitslose Bäcker, Sekretärinnen oder Verwaltungsangestellte jetzt Künstler auf niederster Komparsenstufe mimen dürfen(!) und müssen (Sabine Mohr hat nicht mal Gelegenheit ihren eigenen Text zu sprechen – das erledigen die Profi-Schauspieler für sie), während es so viele wirkliche arbeitslose Künstler gibt,  ist der Gipfel des Zynismus. Sigmund Freud hätte für diese seltsame Verschiebung sicherlich eine interessante Erklärung auf Lager.

 

Eines ist jedenfalls klar: Die gecasteten Arbeitslosen werden weder in ihrer Rolle (!) als Arbeitslose in ihrem erlernten Job noch als Laiendarsteller ernst genommen, sondern bekommen die gnädigen Brosamen, die von den Tischen der hochangesehenen Theaterzunft fallen, ab. Das Theater darf sich nämlich fast ALLES erlauben. Oder – was würde denn passieren, wenn ein arbeitsloser Regisseur zu einem Bäcker oder Schreiner ginge und sagen würde:  »Ich back unheimlich gern Kuchen und hab auch schon mal ein abgebrochenes Stuhlbein in nen Stuhl geklebt – könnt ihr mich nicht 'n bißchen bei euch backen oder Stühle reparieren lassen und nebenbei 'ne kleine Werbekampagne für mich fahren nach dem Motto: Hallo Mainfrankentheater! Dieser Regisseur kann sogar backen und Stühle leimen – bitte stellt ihn sofort ein!« Man würde diese Person sofort für komplett verrückt erklären. Das Theater IST so verrückt. 

 

Das aber stört letztendlich auch wieder niemanden, weil das Theater im Endeffekt auch nicht ernst genommen wird.

 

Wie durch die Inszenierung »Glaube Liebe Hoffnung« einmal mehr bewiesen wird, können die unglaublichsten und politisch fragwürdigsten Dinge öffentlich behauptet werden, ohne daß es empörte Leserbriefe hagelt, denn die meisten Gehirne schalten offensichtlich sofort ab, sobald das Wort KUNST fällt.

 

Heike Pauline Grauf



* SELAWÜ = Solidarische Erwerbslose Aktiv in Würzburg