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KUSS


 AKTUALISIERTER NACHBESSERUNGSANTRAG

FÜR DEN WETTBEWERB KUSS 

(KUNST TRIFFT SELBSTHILFE IM SPITÄLE)

ausgeschrieben von

VKU und Selbsthilfebüro der Stadt Würzburg




Uns wird die Not gezeigt,

solang die Quote steigt.

Nosliw

 

Wir – die Selbsthilfegruppe SELAWÜ (Solidarische Erwerbslose Aktiv in Würzburg) – bemühen uns seit Ausschreibung des Wettbewerbs KUSS, einen künstlerischen Partner der VKU für die Umsetzung unserer »Ideen« zum Thema Erwerbslosigkeit zu finden. Das Wort »Ideen« ist notabene ein Zitat – denn laut Auschreibung fungieren die Selbsthilfegruppen als »Ideengeber« und »geistiger Input« für die Künstler. (Siehe Main Post, 20. September 2005, S. 27.) Darauf wird noch zurückzukommen sein. (Siehe Kritikpunkt 2.)

 

Leider waren unsere eigenen immensen Bemühungen – trotz Fristverlängerung – bislang nicht von Erfolg gekrönt. Über die Bemühungen des VKU-Vorsitzenden, der am  29.11.2005  auf konkrete Anfrage bezüglich des SELAWÜ-spezifischen worst case coram publico eine verbindliche Zusage gegeben hat, daß sich »unter den 200 Mitgliedern der VKU ein VKU-Künstler finden wird«[1],  können wir wenig sagen: Er hat uns lediglich einen einzigen Künstler genannt, der dann allerdings gar nicht beim Wettbewerb teilnehmen wollte.

 

Unsere Fristverlängerung resultierte auch nur aus dem Umstand, daß ein künstlerischer Partner außerhalb der VKU unserer Selbsthilfegruppe zur Verfügung steht. Nach Auskunft von Irena Tezak, KUSS-Organisatorin des Selbsthilfebüros der Stadt Würzburg, wurden 6 oder 7 Selbsthilfegruppen, die überhaupt keinen Künstler für sich gewinnen konnten, inzwischen von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Kommentar der betroffenen Selbsthilfegruppen zu diesem Umstand soll in etwa so gelautet haben: »Naja, unsere Problematik scheint eben zu kompliziert für die Künstler zu sein. Damit müssen wir uns halt abfinden.«

 

Wenn diese Vermutung der Wahrheit entspricht, dann wäre dies ein gewaltiger Schlag, der der Selbsthilfeproblematik hier von der zünftigen Kunst mitten ins Gesicht verpaßt würde.

 

Nach den Äußerungen der Künstler beim offiziellen Kennenlern-Spaziergang und den Treffen im Spitäle, spielen aber offensichtlich noch ganz andere Kriterien als etwa »zu große Kompliziertheit« eine Rolle für die Kunstschaffenden: nämlich die Medienträchtigkeit des jeweiligen Gebrechens, das gesellschaftliche Ansehen und die künstlerische Verwertbarkeit. Ein Mitglied unserer Erwerbsloseninitiative hatte den Eindruck, daß Skoliose und Hospizverein – Rückgratverkrümmung und Tod – ganz große Renner bei den Künstlern und Künstlerinnen waren. Ganz zu schweigen davon, daß Erwerbslose entweder ganz offen diskrimiert wurden oder sehr geringe Beachtung fanden.

 

Die Verfasserin des vorliegenden Antrags mußte beim zweiten offiziellen Treffen im Spitäle am eigenen Leib die große Enttäuschung einer Künstlerin erfahren, weil sie trotz Kopfbedeckung in einem Innenraum leider nicht mit einer Krebserkrankung aufwarten konnte. Eine andere Künstlerin ließ durchblicken, daß Arbeitslose doch lieber eine Stelle suchen sollten als ihre Zeit in einer Selbsthilfegruppe zu verplempern. Daß mittlerweile die darstellende Kunst sogar auf etabliertem Niveau sich des hochaktuellen Themas Erwerbslosigkeit ausdrücklich angenommen hat, scheint sich bis zur bildenden Kunst noch nicht herumgesprochen zu haben. Dort grassiert vielmehr die Meinung, daß ATTAC eine Selbsthilfegruppe ist.

 

Dies alles ist Zynismus und Ignoranz pur – die man allerdings gerade bei Künstlern, die sich gerne als die sensibleren, kritischeren und besseren Menschen in der Öffentlichkeit präsentieren, nicht erwartet hätte.

 

Wir wollen hier dahingestellt sein lassen, ob es sich bei den betreffenden Personen nun um wirkliche Künstler handelt oder nicht. Wir wollen hier auch dahingestellt sein lassen, ob letztendlich immer nur das Individuum für seine Zynismen zur Verantwortung gezogen werden kann und muß oder vielmehr das System, das diese Zynismen produziert.

 

Nach vielen Kontakten mit VKU-KünstlerInnen und vielen Auseinandersetzungen mit den OrganisatorInnen des KUSS-Wettbewerbs soll an dieser Stelle einzig und allein das Augenmerk auf die Uneinigkeit zwischen VKU-Vorsitz und VKU-Mitgliedern, sowie auf Widersprüchlichkeiten,  Unstimmigkeiten und Zumutungen des KUSS-Konzepts gelegt werden. In die unten aufgelisteten Lösungsmodelle sind Gedanken und Vorschläge von VKU-KünstlerInnen mit eingearbeitet.

 

 

Kritikpunkt 1 – Demokratische Abstimmung über Ausnahmeregelung

 

Zuallererst muß festgestellt werden, daß etliche Mitglieder der VKU überhaupt keinen Wert darauf legen, daß zwingend ein VKU-Künstler in der am Ende von der Jury bewerteten Gruppierung aus Künstler + Selbsthilfegruppe  mit dabei sein muß.

 

Auch das Selbsthilfebüro – das erklärtermaßen ALLEN interessierten Gruppen die Teilnahme ermöglichen wollte – schwankte in den letzten Wochen ständig zwischen dem Zugeständnis einer Ausnahmeregelung und der strengen Richtlinie des Vorsitzenden der VKU.

 

Hier könnte eine demokratische Abstimmung innerhalb der VKU Abhilfe schaffen.

 

Da der Vorsitzende der VKU allerdings – entgegen seiner Zusicherung, die erforderten VKU-Künstler zu stellen – offensichtlich nicht in der Lage ist, genügend Künstler aus seinem Verein beizubringen, sollte er von vornherein Kulanz walten lassen.

 

 

Kritikpunkt 2 – Aufteilung des Preisgeldes an alle Beteiligten

 

Für großen Unmut bei Selbsthilfegruppen, Künstlern, externen Personen und auch VKU-Mitgliedern hat der Umstand gesorgt, daß das Preisgeld nur an die Künstler und nicht an die gesamte Gruppe verliehen wird. Das »Prinzip der gleichen Augenhöhe«, das von Selbsthilfetheoretikern gern ins Feld geführt wird, ist hier in keinster Weise gewährleistet. Wenn die Selbsthilfegruppen nur als kreatives Ausbeutungsobjekt und kostenlose »Ideengeber« für Künstler gedacht sind, die als Trostpreis kostenlos PR bekommen, ist eine Gruppenbildung völlig überflüssig. In einer Gruppe gleichgestellter Mitglieder jedoch kann es keine finanziell oder sonstwie Bevorzugten geben.

 

Zur besonderen Beachtung: Bei der persönlichen Abgabe des SELAWÜ-Anmeldungsformulars hat der Vorsitzende der VKU übrigens die Selbsthilfegruppen auch noch des Status beraubt, als »Ideengeber« für die Künstler zu fungieren: Er definierte das Wort IDEE in das Wort PROBLEM um und überließ den Künstlern damit schrankenlose Freiheit. Nach der letzten Aussage des VKU-Vorsitzenden stellen die Selbsthilfegruppen jetzt nämlich nur noch ihre Probleme dar, die Künstler entwickeln daraus Ideen – und die Ideen der Selbsthilfegruppen gehen den Bach runter.

 

In dieser brandneuen Version des Wettbewerbs ist derselbe – als proklamierte »gemeinsame Sache« – sowieso ad absurdum geführt.

 

 

Kritikpunkt 3 – Gerechte Verteilung der Künstler auf die Selbsthilfegruppen

 

Das erklärte Thema des KUSS-Wettbewerbs ist die Selbsthilfe. Zwar gestalten die Künstler das Thema, nicht aber müssen die Selbsthilfegruppen den Künstlern gerecht werden, sondern die Künstler dem Thema.

 

Wenn überhaupt jemand angesichts dieser Konstellation jemanden auswählen dürfte und müßte – so der eindringliche Vorschlag einer befragten VKU-Künstlerin – dann die Selbsthilfegruppen die Künstler! – und nicht etwa, wie momentan praktiziert, die Künstler die Selbsthilfegruppen. Es ist nicht nur unappetitlich, asozial und selbstherrlich, wenn sich Künstler –  die sich bisweilen wohl tatsächlich als Fürsten[2] verstehen und nicht als Diener einer Sache –  die Rosinen aus dem Teig picken. Es verstößt vielmehr in eklatanter und beschämender Weise gegen die Erlebniswelt der Selbsthilfebetroffenen: Niemand kann sich aussuchen, ob er Krebs bekommt, sein Kind schwul wird oder ob er wegen Stelleneinsparungen seinen Arbeitsplatz verliert. Hier waltet einzig und allein das Schicksal.

 

 Und deswegen ist die gerechteste Lösung unter den momentanen Vorzeichen – zuwenig Künstler / zuviele Selbsthilfegruppen – eine komplette Neuverteilung der Selbsthilfegruppen auf die Künstler durch das Los.

 

Wenn dann noch Selbsthilfegruppen übrigbleiben, die keinen Künstler abbekommen[3], so ist der Grund zumindest nicht menschliches Versagen und Willkür, sondern die Tragik des Zufalls. Mit dieser kann jeder ohne persönliche Animositäten leben.

 

Zeitsparender, einfühlsamer und gedanklich ausgereifter wäre es natürlich gewesen, im Vorlauf des Wettbewerbs ein fertiges Kontingent an willigen und zeitlich verfügbaren Künstlern zu bilden und dieses dann einfach zum Wettbewerb zur Verfügung  zu stellen – anstatt Selbsthilfegruppen mit geringem Kurswert auf deren eigene Kosten ständig ins Leere laufen zu lassen, nach dem Motto: »das wird schon – und wenn nicht, dann kräht kein Hahn danach, und überhaupt, was geht mich mein Geschwätz von gestern an«.

 

So lassen wir als Selbsthilfegruppe mit politischem Anspruch nicht mit uns umspringen. Wir fordern nicht nur Wahlversprechen von Politikern, sondern auch Versprechen von Wettbewerbsausschreibern ein. Und wer ein so widersprüchliches wie darüber hinaus Mensch und Sache nicht gerecht werdendes Konzept vorlegt, das keinen wirklichen Ernst besitzt, muß dann eben mit den Folgen leben. In unserem Falle heißt die Folge: Wir fordern Nachbesserung. Und daß diese Forderung nicht rein appellativ, sondern inhaltlich konstruktiv ist, zeigen die drei Seiten dieses Antrags.

 

Mit den besten Empfehlungen

gez.

Heike Pauline Grauf

SELAWÜ (Solidarische ErwerbsLose Aktiv in Würzburg)

 

 

 

Aktualisierter Kritikpunkt 3 – Teilnahme aller interessierten Selbsthilfegruppen

 

Nach dem »Wunder«, daß wider jegliches Erwarten am letzten Fristtag doch noch ein VKU-Mitglied für unsere Selbsthilfegruppe gefunden werden konnte, hat sich nun eine neue Konstellation herauskristallisiert. Diese soll im folgenden etwas ausführlicher skizziert werden, damit die grundsätzliche Problematik des ausgeschriebenen Wettbewerbs noch deutlicher wird. Zudem hat sich beim genauen Durchdenken des vorgeschlagenen Losverfahrens eine verfahrensinterne Erschwerung aufgetan. Deswegen wird nun ein  vollintegrativer Lösungsvorschlag angeboten, auf den ja ohnehin abgezielt war.

 

Zur Neukonstellation

 

Die Geburt von Ideen kann man weder erzwingen noch aufhalten. Im Laufe des Wettbewerbs um den Wettbewerb sprang  trotz fehlendem VKU-Partner eine zündende Idee aus dem Kopf der Athene, die sich im Schoß der Erwerbsloseninitiative einnistete und fortan ein Gegenüber suchte, das sich an der bereits vollzogenen Zeugung beteiligen wollte. Das Ultraschallbild des Embryos reizte einige VKU-KünstlerInnen sehr wohl, doch schreckte sie der Arbeitsaufwand, der mit dem erst einmal entbundenen Zögling verbunden sein würde, ab. Und das ist auch sehr verständlich – denn bei den VKU-Künstlern und Künstlerinnen geht die Kunst in den meisten Fällen zuallererst nach Brot, bei dem die Butter ohnehin immer fehlt.

 

Das heißt im Klartext: Einen Wettbewerb wie den hier ausgeschriebenen können sich aus der Riege der VKU-Mitglieder finanziell wahrscheinlich nur Herr Dr. Jürgen Lenssen und Frau Dr. Petra Blume leisten. Aber bekanntlich haben Menschen, die Geld besitzen, niemals Zeit. Oder nur ganz wenig. Vor allem nicht für Menschen, die kein Geld haben. Denn, um Menschen Geld spenden zu können, die keines haben, was reiche Menschen hin und wieder gerne tun, müssen sie sich logischerweise mit Menschen beschäftigen, die Geld haben, und das nicht zu knapp. Und die anderen, die Zeit hätten – zumindest, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe – haben sie letztendlich auch wieder nicht, weil die Kunst eben nach Brot geht und sie ständig dem bedingungsvollen Grundeinkommen hinterherhecheln müssen.

 

Nun, um es kurz zu machen: Trotz der systembedingten Fast-Unmöglichkeit dieses Wettbewerbs (als eines selbsthilfegruppengerechten!), die dadurch erschwert wird, daß über 280 Selbsthilfegruppen nur 190 VKU-Mitglieder gegenüberstehen (von denen 41 nur fördernde Mitglieder – also keine Künstler – sind!), haben wir – im Gegensatz zu den a priori errechenbaren armen Tröpfen, die statistisch beim vorliegenden Wettbewerbskonzept (= Machen-wir-mal) rausfallen mußten –  nun durch die Fügung des Schicksals doch noch in allerletzter Sekunde ein VKU-Mitglied ergattert.

 

So spät sich dieses Mitglied fand, so unauflöslich ist nun auch diese Verbindung. Hier hat ein  Deckel den absolut passenden Topf gefunden. Es wäre kontraproduktiv und käme einer Art kreativer Genmanipulation gleich, diese Verbindung um eines gerechten Losverfahrens willen wieder zu lösen. Die Gefahr zudem, bei dem vorgeschlagenen Losverfahren am Ende völlig leer auszugehen (sofern nicht Kritikpunkt 1 berücksichtigt würde), käme einem Schwangerschaftsabbruch gleich.

 

Da sich bei anderen Gruppierungen inzwischen ebenfalls gruppendynamische Prozesse entwickelt haben könnten, wäre auch ein Abbruch dieser Prozesse nicht gerechtfertigt.

 

Verfahrensinterne Erschwerung

 

Beim vorgeschlagenen Losverfahren würden alle Selbsthilfegruppen neu auf die zur Verfügung stehenden KünstlerInnen – ob VKU-Mitglied oder nicht – verteilt werden. Da das künstlerische Nicht-VKU-Mitglied unserer Selbsthilfegruppe aber selbst Mitglied unserer Selbsthilfegruppe ist, würde es beim Losverfahren mit   hoher Wahrscheinlichkeit aus der eigenen Gruppe herauskatapultiert werden. Dadurch würde einem Betroffenen die Möglichkeit genommen, sich mit seiner eigenen Problematik künstlerisch auseinanderzusetzen, was als sehr problematisch bis unzumutbar anzusehen ist.

 

Vollintegrativer Lösungsvorschlag

Letztlich kann es nur darum gehen, das vom Selbsthilfebüro ursprünglich gesteckte Ziel, allen interessierten Selbsthilfegruppen eine Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen, auch tatsächlich zu erreichen.

 

Das Szenario eines Losverfahrens, bei dem am Ende einige leer ausgehen könnten, wurde u.a. auch deshalb aufgebaut, um die System-Gewinner ein wenig mit dem Gefühl zu konfrontieren, wie es wäre, wenn plötzlich  s i e  die Looser wären.

 

Der Zug des Losverfahrens, der der Erlebniswelt der Selbsthilfebetroffenen entsprochen hätte, ist jedenfalls – zumindest für diesen Wettbewerb – definitiv abgefahren. Dieses Losverfahren hätte von Anfang an als konstitutive Bedingung für die Teilnahme am Wettbewerb in ein zu erstellendes Regelwerk mit aufgenommen werden müssen.

 

Doch daß gar kein Regelwerk existiert, sondern nur widersprüchliche Aussagen, ist in diesem Falle wiederum gar nicht  so schlecht, denn dadurch ist auch dieser Antrag möglich geworden, den man nun in jedem Falle bearbeiten muß, ohne ihn aufgrund einer im vorhinein aufgestellten Regel mit dem eleganten Hinweis auf einen Formfehler bequem abschlägig beurteilen zu können.

 

Irena Tezak vom Selbsthilfebüro hat es wunderschön formuliert: »Wir haben einfach angefangen und uns gedacht, daß wir die Probleme lösen, wenn sie auftauchen!« Ja, genau das ist es. Das denkt unser Staat den lieben langen Tag – und deswegen produziert er fortwährend Überflüssige, mit denen er dann nicht mehr weiß wohin, außer sie unter den Teppich zu kehren, zu kriminalisieren oder als Sündenbock zu stigmatisieren.

 

Ohne den vorliegenden Antrag wären die 6 oder 7 »ungeküssten« Selbsthilfegruppen, die nun leer ausgehen sollen, ganz einfach als zu vernachlässigende Minderheiten unter den Tisch gefallen und sehr schnell unter dem Teppich des Vergessens oder dem Kopfsteinpflaster des Verdrängens gelandet.

 

Keiner hätte sich einen Kopf darum gemacht, daß hier wieder einmal mehr das kapitalistische System seine täglichen Opfer fordert, an die wir so gewohnt sind, daß sie gar nicht mehr wahrgenommen werden. Das Wort Kapitalismus stammt zurecht von dem lateinischen Wort caput ab, das Kopf bedeutet und wie das deutsche Wort kaputt klingt. So wie die Erwerbslosigkeit eine Staatskrankheit ist, ist der Kapitalismus vor allem eine Kopfkrankheit. Der Kapitalist macht zwar schnellen Profit oder einen schnellen Wettbewerb, aber unter dem Strich verrechnet er sich immer.

 

Vor allem rechnet er nicht damit, daß seine Versprechungen, die er schnell mal gibt, beim Wort genommen werden.

 

So aber wird sich der Vorsitzende der VKU, Herr Thomas Wachter, jetzt vielleicht doch noch einen Kopf machen müssen, wie er sein Versprechen einlöst und alle Selbsthilfegruppen unter die Haube – zumindest der VKU – bringt. (Zumal eine Teilnehmerin am Zweiten Treffen im Spitäle sogar gehört haben will, daß er selbst im Notfall für eine Selbsthilfegruppe zur Verfügung stehen würde.) Das Selbsthilfebüro seinerseits ist aufgefordert, allen interessierten Selbsthilfegruppen die Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen und den geforderten zweiten Künstler beizubringen – oder dafür zu sorgen, daß Punkt 1 inversiv in Kraft tritt. Sprich: Ein VKU-Mitglied allein tut's im Notfall auch. Dabeisein ist alles.

 

Wir wollen hoffen, daß die VKU-Mitglieder ihrerseits nun endlich den Ernst der Lage erkennen, in die sie zwar unwissentlich und unwollentlich hineingeraten sind, aber immerhin haben sie ihren Vorsitzenden ja freiwillig mehrheitlich gewählt. Sie sollten ihm nun nicht in den Rücken fallen, sondern ihm – oder besser ihrem Verein – den Rücken stärken. Womit wir fast schon wieder bei der Skoliose wären... Aber die war ja bestens versorgt. Im Gegensatz bsw. zur Selbsthilfegruppe von Eltern, Freunden und Angehörigen Homosexueller, die – wie wir – in der VKU-Zeitung unlängst noch verzweifelt ein VKU-Mitglied suchte. Ob sie es inzwischen gefunden hat?

 

Es hat Zeiten gegeben, da wäre es ein ungeheuerlicher politischer Affront gewesen, irgend jemandem, der auch nur eine homosexuelle Hausstaubmilbe unter seinem Dach beherbergte, das angemahnte nicht auf dem Silbertablett zu servieren. Diese Zeiten sind längst vorbei. Seit Rosa von Praunheim alle schwulen Leistungs- und Würdenträger unserer Gesellschaft geoutet hat, muß man schwul sein, um irgendwo noch einen Job zu bekommen. Homosexualität ist hierzulande kein Skandalon mehr, sondern Normalität.

 

Kurz vor diesem Break-even-Point stehen die Erwerbslosen heute. Es ist traurig und schmerzlich, daß das Selbsthilfebüro der Stadt Würzburg und die Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens die Zeichen der Zeit nicht erkannt und durch entsprechende interne Werbung dafür gesorgt haben, daß ein derartig brisantes Thema ganz schnell unter Dach und Fach, sprich: ins heilungverheißende Spitäle gebracht wird.

 

Dieser Fauxpas kann jedoch dadurch wettgemacht werden, daß der abgeschnittene Rattenschwanz der Überflüssigen, der ziemlich verloren am ausgeschriebenen Wettbewerb hängt, wieder mit der Ratte verbunden wird, denn eine Ratte ohne Schwanz sieht ziemlich kläglich aus. Frau Dr. Blume wird da sicher einige Kunstgriffe aus der alten Medizinerzeit auf Lager haben, die aus der Ratte wieder ein rattenwürdiges Wesen machen.

 

Und zuguterletzt müssen wir doch noch einmal VKU-Mitglied und Domkapitular Herrn Dr. Jürgen Lenssen bemühen. Da der neue Bischof sehr konservativ sein soll und die altgewohnte Freizügigkeit vielleicht bald völlig im Arsch ist, sollte er doch wirklich aus prophylaktischen Gründen und womöglich baldiger eigener Betroffenheit einen ersten mutigen Schritt in Richtung Morbus Crohn-Selbsthilfegruppe tun und gestalterisch mitwerkeln. Ein nackter Jesus von hinten wär' auch mal nicht schlecht.

 

Und mit Ideen für alle noch künstlerlosen Gruppen stehen wir Erwerbslose von SELAWÜ, weniger weil wir ja arbeitslos sind und angeblich nichts zu tun haben, sondern vielmehr, weil wir so ungeheuer kreativ sind, auf Anfrage gerne zur Verfügung. Petra Blume, wenn ich das richtig verstanden habe, übrigens prinzipiell und eingeschränkt auch.

 

 

Mit allerbesten Empfehlungen

 

gez. am 09.03.06

 

Heike Pauline Grauf

SELAWÜ (Solidarische ErwerbsLose Aktiv in Würzburg)




[1] Da die Frage bezüglich des worst case für SELAWÜ (was geschieht, wenn sich kein VKU-Künstler findet?) allgemein gestellt war, muß davon ausgegangen werden, daß diese Zusage für alle Selbsthilfegruppen gilt, und nicht nur für unsere.

[2] Dies ist kein Seitenhieb auf die (doch wohl) ironischen Malerfürsten des Malerfürstentums Neu-Wredanien. Zumindest mit Akimo ergab sich ein sehr gutes Gespräch.

[3] Bei Berücksichtigung von Punkt 1 – keine zwingende Teilnahme eines VKU-Künstlers in der Kreativ-Gruppe – ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß es keine »Überflüssigen« gibt. Und das wäre auch gut so, denn wir haben schon genügend Überflüssige in unserem Land. Einige haben Konsequenzen gezogen und löffeln den vom System Begünstigten den Gourmetfraß vom Teller. (http://www.ueberfluessig.tk/)