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Stadtrecht



Heike Pauline Grauf

BEGSTAGE - DIE KUNST IM BETTELSTAAT

An

den Würzburger Stadtrat

und die Oberbürgermeisterin

im Rathaus zu Würzburg




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BEGSTAGE
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Verbesserungsvorschläge für das neue Stadtrecht (AK Sicherheitsverordnung)

Antrag auf Streichung des Bettelparagraphen [Sicherheitssatzung ehem. § 2 (2)4.; neu: § 4 (1) 4.]

 

 21.01.2006

Zum

 Erlass der Satzung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Würzburg (Sicherheitssatzung)

 wünschen wir

 

1.      folgende Änderung:

 ehem. § 2 (2) 4.: (Eine Nutzung von Straßen, Wegen und Plätzen über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) ist verboten,

4.  für das Betteln in jeglicher Form

 neu:

 § 4 (1) 4. : Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen Dritter und zum ordnungsgemäßen Erhalt der Straßen, Wege und Plätze und der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen ist es untersagt:

4. zu betteln in jeglicher Form

 ist komplett zu streichen.

 

 2.      Wir möchten hiermit die Bildung eines Ausschusses oder Arbeitskreises anregen, der sich mit juristischen und sozialen Fragen des Phänomens Betteln eingehend befaßt und zeitgemäße Umgangsmodelle mit dieser »sozial unwertigen Tätigkeit« (Zitat Stadt Würzburg anno 2004) erarbeitet, die zwar keine der 7 Einkunftsarten, aber in nichtaggressiver Form auch keinen Straftatbestand darstellt.

Begründung zu 1.

 

Oberflächlich betrachtet ist Betteln weder eine produktive Tätigkeit im industriellen oder handwerklichen Sinne noch stellt es eine Dienstleistung dar (worunter wir jetzt auch einmal alle kulturellen Akte subsumieren wollen). Ob dies tatsächlich in der Tiefe diesem Phänomen gerecht wird, das nichts herstellt als eine Umverteilung meistens kleineren Stils*, muß untersucht und diskutiert werden. Ich verweise hier auch auf mein Schreiben an Radu Ferendino (IHK Würzburg) vom 25.05.04 zur 1. Beg-in-Aktionswoche im August 2004, das leider bis jetzt noch unbeantwortet geblieben ist, sowie natürlich auf das Schreiben an das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vom 21.06.2004 (Antrag auf Erhebung einer »sozial unwertigen« und keine Einkunftsart darstellenden Tätigkeit in den Berufsstand bzw. Antrag auf Rehabilitierung eines historischen Berufsstandes - Existenzielle Fragen zu einem innovativen Existenzgründungsprojekt).

 

Unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Bedingungen das Betteln nun in einen Berufsstand erhoben werden sollte, bleibt die Frage, wie mit dieser von Menschen (und nicht Unter-Menschen!)  auch in Deutschland praktizierten Tätigkeit aktuell auf städtischer, sprich: kommunalpolitischer Ebene zu verfahren ist.   

 

Es ist allgemein bekannt, daß in anderen, vor allem ärmeren Ländern, das Betteln nicht sanktioniert wird, und auch die Tatsache, daß im Mittelalter das Betteln zeitweilig in einer Art Zunft oder Stand aufgehoben und die Bedürftigkeit vermutlich besser kontrolliert war als heute, ist an Bürgern mit etwas geschichtlichem Interesse nicht vorübergegangen, wenn dieses Wissen vielleicht auch nicht zum Allgemeinwissen gehört.

 

Da die sozialen Standards unseres im Zusammenbruch befindlichen Sozialstaats allerdings immer mehr sinken, ist es angebracht, dieses vergessene Wissen wieder mehr ins Allgemeinbewußtsein zu bringen.

 

Es ist hochinteressant, daß schon im Mittelalter die Frage nach der BEDÜRFTIGKEIT als Legitimation für die Ausübung dieser Tätigkeit gestellt wurde. Was die heutige Zeit betrifft, hat sich der Akzent – da das Betteln ohnehin verboten ist - eher auf die Bedürftigkeit der Empfänger von Sozialhilfe u.ä. staatlicher Stützen verschoben.

 

Dieses Kriterium ist jedoch völlig unsinnig und anmaßend, da es im umgekehrten Falle auch nicht zum Zuge kommt, in dem Falle nämlich der Bedürftigkeit bsw. von Spitzenmanagern oder Spitzensportlern, die Gehälter in Millionenhöhe einkassieren. Solange hier die Frage der Bedürftigkeit nicht gestellt wird, hat sie auch im umgekehrten Falle logischerweise keine Berechtigung.

 

Die Fragen, die - gerade auch von städtischer Seite - gestellt werden müssen, sind vielmehr Fragen, die das Verhältnis von Aufwand und Kosten betreffen, von Schaden und Nutzen, sowie das Verhältnis von Mangel und Überfluß.

 

Hierzu wollen wir einmal folgende Beispielrechnung aufmachen:

 

Nach unseren Erfahrungswerten kann ein Bürger, der zu gemeinnützigen Zwecken auf originellste Art und Weise aktiv bettelt – und hier übrigens erlaubtermaßen -, einen Stundenlohn zwischen ca. 7 und 10 Euro steuerfrei erwirtschaften. Passives Betteln – ob gemeinnützig oder eigennützig - bringt nach Aussagen von befragten Bettlern meistens entsprechend weniger.

 

Die Tätigkeit des Bettelns, die, wie gesagt, nichts herstellt als den Sachverhalt zumeist geringer Umverteilung (die nebenbei relativ viel Zeit kostet), ist dabei – zumindest in der aktiven Version - eine physisch und mental hochanstrengende Angelegenheit, die nicht im 8-Stunden-Betrieb, sondern nur zeitweise (von den meisten ohnehin nur saisonweise) ausgeübt werden kann und darüber hinaus sozial geächtet ist. (Passives Betteln ist vor allem psychisch anstrengend.) Selbst von gemeinnützigen Bettlern sind viele Mitbürger nur genervt. Und eine Ultraneoliberalistin wie die Unternehmerin und Spendensammlerin Gabriele Nelkenstock, die zwar Krankheit (im ausgebrochenen Stadium), nicht aber Kultur für spendenwürdig hält, hat vor allem eine ganz andere Klientel als arme Künstler, Punks, Obdachlose oder ALG II-Empfänger.

 

Es ist nicht einzusehen, daß eine derartig anstrengende und - zumindest auf der Straße - verhältnismäßig geringfügige Gewinne erwirtschaftende Tätigkeit verboten sein soll, die übrigens auch gerne jeder Millionär ausüben dürfen sollte, weil er während dieser zeitraubenden Tätigkeit schon keine Kapital(!)verbrechen an der Börse oder sonstwo abwickeln könnte. Und was die Kriminalisierung des Phänomens durch die in der Presse so beliebten Mafia-Bettler betrifft (von denen wir uns ungeachtet der folgenden Wertigkeits-Skala ausdrücklich distanzieren): Schon jeder Zuhälter verdient zig mal mehr als ein Mafiosi, der ein paar Bettler auf die Straße schickt. Jeder kann sich bei den oben angegebenen »Stundenlöhnen« ausrechnen, was ein Mafiosi sagen wir mal mit sogar 20 oder 30 Angestellten (abzüglich seiner Kosten) für einen Reibach macht: Das ist schätzungsweise nicht mehr als bei einem kläglichen Mittelstandsbetrieb. Richtig Reibach wird aber gemacht bei Siemens, Lidl, Aldi, Norma, Mercedes und VW. Gegen die Machenschaften, die diese – und andere im neuen Schwarzbuch der Markenfirmen aufgeführten – Weltkonzerne ausüben, sind Mafia-Bettelbanden Waisenknaben. Es muß immer wieder von neuem daran erinnert werden, daß durch die nichtproduktive Tätigkeit des Bettelns, die dazu keinerlei Betriebsinventar erfordert, der Schaden an Natur und Umwelt gleich Null ist. Wie der Mensch mit seiner eigenen Spezies verfährt und ob er ihr ggf. Schaden zufügt, steht auf einem völlig anderen Blatt. Doch da der Mensch in der Entwicklungsgeschichte des Planeten Erde an letzter Stelle aufgetaucht ist, kann seine Spezies bei der Erhaltung des Lebensraumes Erde auch nur als letzte berücksichtigt werden. Wer sich hier aufs Betteln verlegen wollte, müßte in seiner ethischen Integrität schwer angezweifelt werden. In allen anderen Fällen ist die Tätigkeit des Bettelns selbst eine im ungünstigsten Falle völlig harmlose Angelegenheit – was man beispielsweise vom Autofahren oder Bäumefällen nicht behaupten kann. Erst bei der Verwendung des Bettelgutes kann überhaupt die Frage nach moralischer Vertretbarkeit gestellt werden. Wird sie hier gestellt, muß sie allerdings auch andernorts gestellt werden. Es wäre unlogisch und ungerecht, dem Empfänger eines Geschenkes Fragen zu stellen, die dem Empfänger von Lohn erspart bleiben.

 

Wenn eine Kommune sich nun dennoch dazu beauftragt fühlt, schon die Kriminalität oder Nicht-Kriminalität von Betteln selbst sowie die Bedürftigkeit oder Nichtbedürftigkeit von Bettlern zu überprüfen bzw. zu thematisieren, so muß sie sich zuallererst fragen: Steht der personelle Aufwand, der dazu betrieben werden muß, in einem akzeptablen Verhältnis zu dem Gewinn, der damit eingefahren wird? Oder aber: Ist der Schaden, der Stadt und Staat durch die Tätigkeit des Bettelns entsteht, so groß, daß er überhaupt (möglicherweise kostenintensiv) überprüft und geahndet werden muß?

 

Wir sagen ganz klar: NEIN!

 

Der wirklich große Schaden, der Stadt und Staat entsteht, wird verursacht durch das nicht im Fluß befindliche Verhältnis von skandalösem Überfluß auf der einen, und tragischem Mangel auf der anderen Seite.

 

Solange nur die Frage nach dem Existenzminimum (so viel muß jemand zum Überleben haben), und nicht die Frage nach dem Existenzmaximum (so viel darf jemand im Überfluß haben) gestellt wird, ist es völlig widersinnig und absolut unmöglich, das Betteln weiterhin zu verbieten. Die steuerlichen Vorteile, die allen Bettlern Deutschlands zusammen entstehen würden, wären ein winziger Bruchteil der Steuergeschenke, die der Staat fortwährend den Personenkreisen macht, die niemals nach dem Existenmaximum gefragt werden. Ja, es könnte sogar durchaus sein, daß das Phänomen des Bettelns sich in Nichts auflöste, wenn jemals die Frage nach dem Existenzmaximum gestellt und Folgen nach sich ziehen würde.

 

Bis dahin muß allerdings gelten:

 

Sollte Betteln ein Beruf sein, so hat jede deutsche Bürgerin und jeder deutsche Bürger das Recht auf freie Berufswahl. Sollte Betteln kein Beruf sein, so haben alle deutschen Bürgerinnen und  Bürger das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Solange mit Bettelgut keine kriminellen Machenschaften ausgeübt werden, ist es eine Tätigkeit, die niemandem Schaden zufügt. Warum also sollte sie – wem auch immer – verboten sein? Und was das leidige Thema Steuern betrifft, auf das gerade eben schon hinsichtlich der Steuergeschenke an Großverdiener hingewiesen wurde:  Es werden so viele Steuergelder verschwendet und verschenkt – da könnten Stadt und Staat nun einmal an wirklich passender Stelle Großmut walten lassen, statt kleinkrämerisch dem Bettelbürger in die Tasche zu greifen und ihm eine Bettelsteuer abzuknöpfen, sofern das Betteln sich tatsächlich in Bälde zum ehrbaren Beruf aufschwingen sollte. Vorher kann es ohnehin nur darum gehen, eine Tätigkeit, die zwar keine der 7 Einkunftsarten, aber in nichtaggressiver Form auch keinen Straftatbestand darstellt, vom Ruch des sozial Unwertigen und mit Verbot Bedrohten zu befreien.

 

Die Stadt Würzburg würde mit der Abschaffung des Bettelpragraphen, die in Deutschland meines Wissens erstmalig wäre, ein großes Zeichen setzen und sich mit einer Vorreiterrolle in diesem Punkt so stattliche wie stadtliche Meriten verdienen, die auch gesamtstaatlich positive Auswirkungen hätten. Reicht es nicht eigentlich schon, wenn man bei anderen Problematiken innovativeren Städten hinterherhinken muß?

 

Mit den besten Empfehlungen

 

Heike Pauline Grauf

Künstlerin im Bettelstaat

www.fool-time.net



* Ausnahme: die christlichen Großsekten, die Betteln in wirklich großem Stil betreiben.