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Fränkische Nachrichten, 14. 06. 2004:

Der Bettler in Zeiten leerer Kassen

Mit Kunstprojekt "Begstage" soll die Vision eines neuen "Bettelnarrenordens" realisiert werden

Sie heißen Penner oder Berber, Schnorrer, Tippelbrüder oder Landstreicher. Die einen sehen in ihnen gescheiterte Existenzen, die an einem gesellschaftlichen Tiefpunkt angelangt sind, für die anderen sind es Menschen, die gewagt haben, auszubrechen, sich von den Zwängen der Gesellschaft zu befreien. Nach Ansicht der Würzburger Künstlerin und Philosophin Heike Pauline Grauf wird der Bettler in Zeiten leerer öffentlicher Kassen und drohender Städtebankrotte zur Symbolfigur, Grauf ist gerade dabei, von Würzburg ausgehend den neu zu definierenden Berufsstand der "Kunstbettlerin" beziehungsweise das "zünftige Handwerk" der "Bettelnärrin" deutschland- und weltweit zu etablieren. Es ist keine ganz neue Idee, die sich die Künstlerin ausdachte.

Heike Pauline Grauf verweist auf den wohlhabenden Kaufmannssohn Franz von Assisi, der nach einer schweren Krankheit seit dem Jahr 1208 als Bettler und Wanderprediger lebte. Franziskus, so Grauf, bezeichnete sich selbst als ein "Narr Gottes". Sein Lebensmodell stieß auf viel Sympathie, es dauerte nicht lange, und immer mehr Menschen schlossen sich ihm an. Franziskus gründete schließlich den Bettelorden der "Minderen Brüder". Damit wird er zur Symbolfigur für die Würzburger Philosophin, die mit ihrem von der Gewerkschaft ver.di unterstützten Kunstprojekt "Begstage" die Vision eines neuen "Bettelnarrenordens" realisieren will.

Zusammen mit Esme Koslitz, Schauspielerin am Würzburg theater ensemble, plant Grauf eine groß angelegte "Beg In-Aktionswoche" vom 23. bis 29. August in Würzburg, die Denkanstöße rund um das Thema "Betteln" liefern soll. Happenings, eine Performance unter dem Motto "Des Künstlers neue Kleider", eine Künstlerprozession durch Würzburgs Innenstadt und Interviews in der Bevölkerung sollen der Rehabilitierung des Bettlerberufs den Boden bereiten. Die einzelnen, durchaus auch satirisch gemeinten Kunstaktionen, die sich, so Grauf, während der sieben Tage "vom Solo zum Orchester" und "vom piano zum pianissimo" steigern werden, verstehen sich als eine Antwort sowohl auf das die derzeitige Kunstszene beherrschende l’art pour l’art als auch auf die von den politischen Bühnen ausgehenden neoliberalistischen Infiltrationen; gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass dem derzeitigen Gang der Dinge zufolge das öffentliche Zuschusswesen als Lebensbasis für die freie Kunst und Kultur ausgedient hat. Die Projektkünstlerin: "Die Kunst muss endlich großes Theater machen. Sie muss - im wahrsten Sinne des Wortes - wieder politisch werden.

"Das Wort "Polis" bedeutete ja ursprünglich "Stadt". Politisch ist Theater laut Grauf folglich dann, wenn es sich aus den Kunsthäusern und Theatertempeln hinaustraut, wenn es sich zu den Menschen in die Stadt begibt, um diese aus ihrem "Verdrängungsschlaf" zu rütteln.Während der Aktionswoche wird die Künstlerin Alexandra Hertlein eine Plakatwand zum Thema "Begstag" in der Würzburger Neubaustraße - an der Rückseite des Franziskanerklosters - gestalten.

Bei einem Straßentheaterprojekt, das voraussichtlich am 23. August vor dem Dom stattfinden wird, werden theater ensemble-Akteure zusammen mit Mitgliedern von "Menschen für Tierrechte" die Vogelpredigt des Heiligen Franziskus auf die heutige Zeit übertragen. Es wird, verspricht Grauf, ein Straßentheater werden, das an die Nieren geht. "Urbi et korbi", unter diesem Motto sollen sich Künstlerinnen und Künstler sowie alle, denen die Kunst gerade in Zeiten leerer öffentlicher Kassen am Herzen liegt, am 27. August um 14 Uhr am Finanzamt versammeln, um von dort, in moderne Narrenkostüme gehüllt, mit leeren Körben und Körbchen gen Rathaus zu ziehen. Beteiligt an dieser "Prozession" sind unter anderem Graufs Mitstreiter und Mitstreiterinnen vom theater ensemble, Mitglieder der Würzburger Regionalgruppe "Menschen für Tierrechte" sowie Globalisierungskritiker von attac.

Sie alle wollen mithelfen, dass vor dem Rathaus eine möglichst große Deponie leerer Körbe errichtet werden kann. "Die Kunst, die von der Politik ständig einen Korb bekommt, gibt denselben an die Politik zurück", kommentiert Heike Pauline Grauf. Im Vorfeld des Umzugs und zum Auftakt der Aktionswoche werden am 23. August Menschen auf Würzburgs Straßen von den am Kunstprojekt beteiligten "Bettelnarren" zum Thema Betteln befragt. Was assoziieren die Menschen mit "Betteln"? Ist Betteln für sie ein Beruf? Wenn nicht - was ist es dann? Diskussion ist auch am 26. August im Würzburger Kulturspeicher angesagt. Um 19 Uhr treffen sich dort unter anderem der Rechtsanwalt Arnold Köpcke-Duttler, die SPD-Stadträtin Eva-Maria Fabisch-Uthe, die Spendensammlerin Gabriele Nelkenstock, der Theaterleiter Norbert Bertheau und das Begstage-Maskottchen "Beggie", um miteinander sowie mit dem Publikum über die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten des Bettelns in der heutigen Zeit zu reden.Aber nicht nur die Würzburger sind nach ihrer Meinung zum "Betteln" gefragt. In wenigen Tagen geht ein Brief Heike Pauline Graufs an das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Was, fragt die Künstlerin den Arbeitsminister in diesem Schreiben, muss die Bettelnärrin tun, wenn sie eine professionelle Bettelnärrin mit versteuerbarem Einkommen werden will?
Pat Christ

© Fränkische Nachrichten - 14.06.2004