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Eulenspiegels Tochter

Würzburger Kunstprojekt “Begstage” über Kunst und Menschen in Zeiten leerer Kassen

M Würzburg – Die täglich neuen Meldungen zeigen es: Der deutsche Sozialstaat scheint am Ende. Und wenn gespart werden muss, trifft es die Bereiche Soziales und Kultur besonders hart, da diese immer subventionsbedürftig sind. Künstler werden zu Bettlern, schlagen sich um das rare Geld der Sponsoren. Da ist der Weg zum Kunstbettler oder Bettlernarr, der durch die Straßen streicht, nicht weit. Genau das hat sich Heike Pauline Grauf, Würzburger Künstlerin und Philosophin, gedacht und stellt als “politisch wirksames Selbsthilfe-Programm” in der letzten Augustwoche eine “Beg-in-Aktionswoche” auf die Beine. Vom 23. bis 29. August wird die Stadt Würzburg unter dem Motto “Medicus Mendicus – Der Bettler als Arzt” als “Bettelbühne” fungieren. Unterstützt wird das Kunstprojekt, das danach erst richtig in die Gänge kommen soll, von theater ensemble Würzburg bis ver.di (siehe Kasten).

Betteln als Erwerbstätigkeit

Betteln als Erwerbstätigkeit an sich ist nicht neu, man muss nur einen Blick auf Würzburgs Straßen werfen. Im Mittelalter zum Beispiel war Betteln durchaus angesehen, auch wenn Bettler auf der städtischen Rangordnung ganz unten standen. Wer bettelte, sorgte dafür, dass sich die Reichen besser fühlten, wie in einer Art Ablasshandel: Wer Spenden gab, erhielt dafür im geringsten Fall ein “Vergelt’s Gott”, bei größeren Summen beteten die Bettler sogar Rosenkränze für den Spender. Selbst Buddha begab sich auf Wanderschaft und lebte eine Zeitlang von den Gaben der anderen. Ein Franz von Assisi wurde 1208 als Bettler und Wanderprediger dann sogar so bekannt, dass sich viele Menschen seiner Lebensart anschlossen und den Bettelorden der “Minderen Brüder” gründeten. Und heute? Heute, so meint Heike Pauline Grauf, “ist betteln nicht länger devot, sondern, wie das Wort Beg-in andeutet, eine raffinierte und schillernde Form des Protestes. Und zwischen Stehlen und Borgen die sozialverträglichste Form der Umverteilung.”

Das politische Theater der Straße


Mit dem interaktiven Straßen- und Stadttheater im August soll dann auch der Mensch “wach gerüttelt und das Individuum zu seiner einsamen Eigenverantwortlichkeit erweckt werden”, sagt die hochintelligente Künstlerin Grauf und lässt Bilder von Diogenes oder Sokrates aufblitzen. “Wird das Individuum angesprochen und ergriffen, hat das politische Theater der Straße die Macht, das politische System aus den Angeln zu heben.” Holla, sind in dem satirisch-ernsten Kunstprojekt etwa gesellschaftliche Umstürze im Gange? Das scheint so mancher zu befürchten. Denn Heike Pauline Graufs Antrag auf “Rehabilitierung eines historischen Berufsstandes” an das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit wurde ziemlich harsch vom Tisch gewischt. Ein Mitarbeiter des Berliner Ministeriums ließ Grauf telefonisch wissen, er “werde den Teufel tun”, ihr Anschreiben “schriftlich zu beantworten”. Ihr Ansinnen sei “völliger Kappes und völliger Quatsch”. Doch die lange Liste der Unterstützer sieht dies ganz anders und setzt auf Grauf, die Schlingensief fast zu überrunden scheint: “Wir wollen nicht länger auf oft schwer zugängliche und von Richtlinien umgitterte Subventionen, Fördermittel oder Zuschüsse aller Art sowie macht- oder körperhungrige Mäzene angewiesen sein.” Die Hoffnung: Werde Betteln erst ein zünftiges Handwerk und ein eigener Berufsstand, für den es nicht nur Prüfung und Diplome gibt, sondern auch ein versteuerbares Einkommen, habe der Bettelnarr unter dem Schutz des “Bettelnarrenordens” andere Handlungsspielräume als ein Individualbettler.

Podiumsdiskussion zum “Betteln”

In der Würzburger Aktionswoche soll es nicht nur Interviews mit der Bevölkerung zum Thema Betteln geben, sondern auch altmeisterliche Straßenmalereien, die künstlerische Gestaltung einer Plakatwand in der Neubaustraße an der Rückwand des Franiskanerklosters, die Aktion “Schöner Betteln” mit Laufsteg, eine Franziskus-Performance vor dem Dom, die Spitäler-Performance “Des Künstlers neue Kleider”, einen Urbi et Korbi-Umzug, bei dem Kulturschaffende und –freunde in Narrengewändern mit leeren Körben vom Finanzamt zum Rathaus ziehen, wo sie eine Korb-Deponie errichten. Aus dieser wird ein Kunstwerk geschaffen werden. Ein Höhepunkt der Aktionswoche wird sicherlich die Podiumsdiskussion am 26. August werden. Auf dem Podium werden unter anderem der Rechtsanwalt Arnold Köpcke-Duttler, die SPD-Stadträtin Eva-Maria Fabisch-Uthe, die professionelle Spendensammlerin Gabriele Nelkenstock, der Leiter des theater ensembles, Norbert Bertheau, und das Begstage Maskottchen “Beggie” über die Notwendigkeiten, aber auch Möglichkeiten des Bettelns sprechen.

Ein Existenzgründungsprojekt

Intellektuell entlehnt Grauf ihre Ideen der Realität, überspitzt sie, wie es ein Satiriker tun muss, und hält wie einst Eulenspiegel den Spiegel vor. Und hofft auf Erfolg der Aktionswoche, ist es doch nicht nur allein ein Kunst-, sondern auch ein Existenzgründungsprojekt. Denn eines sei abzusehen: “Sollte sich das Modell “Bettelnarr” in Zukunft nicht etablieren, wird sich der Staat sehr bald um das Berufsbild des “Räubers” und dessen Sozialisierung kümmern müssen. Denn wenn die Grenze des Existenzminimums auf unerträgliche Weise unterschritten wird, hört der Spaß irgendwann dann eben doch auf.”

So hofft die Philosophin und Künstlerin auch noch auf prominente Schirmherrschaft über “Begstage” und hat bei Oberbürgermeisterin Pia Beckmann angefragt. Außerdem wollte sie gerne Dr. Peter Motsch, den Sozialreferenten der Stadt, zum “VIP-Betteln” gewinnen, habe er doch Anfang des Jahres geäußert: “Ich sehe mich schon auf dem Marktplatz mit dem Klingelbeutel stehen und betteln.” Doch die Stadt hat sich noch nicht entschieden. Gehört hat Grauf auch noch nichts von den Deutschen Bischöfen, bei denen sie bezüglich einer Gründung des neuen Ordens, des Bettelnarrenordens, anfragte. M



KASTEN

“Begstage” wird neben engagierten Einzelpersonen institutionell unterstützt von theater ensemble Würzburg, Künstler-Initiative Salon 77 e.V., KS Moderne KuLtur, ATV-Kurs Innovatives Managementtraining, Die QuerdenkerInnen, Die Rotstifte, Die Singvögel, Felix-Helix-Projekt, Folkmanis Puppets, Menschen für Tierrechte e.V, attac, ver.di, Kessener Business & Kontakt, Museum im Kulturspeicher, Berufsverband Bildender Künstler (BBK), diametric Verlag, Rudolf-Alexander-Schröder-Haus, Bürgermahlzeit, Dachverband Freier Würzburger Kulturträger, Sprecherrat der Uni Würzburg und Soziales Bündnis.

                        
Claudia Penning-Lother, Prima Sonntag vom 18. Juli 2004